Das Spannungsfeld zwischen Theater und Politik ist das Thema meines heutigen Vortrages. Dabei sollen folgende Fragen erörtert werden: Wie weit ist das Theater heute in der Türkei politisch wirksam? Inwieweit setzt es sich mit den autoritären und antidemokratischen Strukturen auseinander? Was kann oder könnte das Theater in der heutigen Situation in der Türkei bewirken? Gibt es Autoren, die sich mit dem besonderen Thema ,,Menschenrechte” auseinandersetzen? Was kann interkulturelle Arbeit (im Bereich des Theaters) bewirken? Was bedeutet in diesem Zusammenhang Kulturaustausch? Könnte es einen gegenseitigen Lernprozess geben und was wären die Voraussetzungen dafür?
Meine Vorgehungsweise ist dabei nicht nur theoretisch, sondern auch praxisorientiert, da ich hier in der Doppelrolle als Theaterwissenschaftlerin, sowie als Dramaturgin und Autorin Theorie und Praxis in engem Zusammenhang sehe. Unter praktischer Arbeit verstehe ich nicht nur die Anwendung meiner wissenschaftlichen Arbeit auf verschiedene gesellschaftliche und kulturelle Arbeitsfelder, sondern auch die Verbindung mit der eigenen schriftstellerischen Arbeit im engeren Sinne.
Im Folgenden werde ich zunächst den historischen Kontext, Theater und autoritäre Gesellschaft in der Türkei“ skizzieren, um einen Überblick über die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte zu geben. Den Kern meiner Untersuchung bildet die Frage ob und wie, (d.h. mit welchen Mitteln und Verfahrensweisen) das Thema ,,autoritäre Strukturen“ insbesondere das Thema ,,Menschenrechte” in der heutigen Dramenliteratur angemessen und wirksam dargestellt werden kann. Dabei werde ich erstens einige exemplarische Stücke aus der neuesten Dramenliteratur vorstellen, die unterschiedliche Verfahrensweisen anwenden wie Montage, Collage, Dokumentarstil, psychologisches Drama etc. Zweitens möchte ich mich diesem Thema dann aus einer anderen Sicht nähern, nämlich anhand eines Beispiels meiner eigenen praktischen Schreibarbeit.
Seit langem setze ich mich nicht nur auf wissenschaftlich analytische Weise, sondern auch in schriftstellerisch experimentierender Form mit dem Problem auseinander, das in der Verstrickung des Einzelnen, vor allem der Kinder und der Jugendlichen, in sozial drückende und autoritäre Verhältnisse besteht. Das besondere Thema „Menschenrechte“ ist meiner Auffassung nach nur die Zuspitzung oder extreme Form dieses Problems. Dieser Auffassung kommt die Inszenierung „Pinokyo -Faust“ des Theaters an der Ruhr entgegen, die den Ausgangspunkt meiner eigenen Schreibarbeit an einem Theaterstück bildete. „Pinokyo – Faust“ soll – als Teil einer Reihe – im Rahmen des Seidenstraßen-Projekts in verschiedenen Ländern aufgeführt und dem jeweiligen Kontext des Gastlandes entsprechend auch geändert werden. Aus meiner analytisch-kritischen wie auch spielerisch kreativen Auseinandersetzung mit diesem Mülheimer Projektteil entstand ein neues Konzept: ,,Pinokyo Übü”. Auch dieses Konzept gehört in den Rahmen des Themas „Theater –autoritäre Strukturen – Menschenrechte“. In dieser Weise wird auch die Frage, was Kulturaustausch bedeuten kann, angesprochen.
Mein Vortrag hat also drei Teile: 1. Kurzer historischer Abriss. 2. Exemplarische Beispiele aus dem gegenwärtigen türkischen Theater. 3. Ein Beispiel aus meiner eigenen schriftstellerischen Werkstatt.
1. Kurzer historischer Abriss: Theater und autoritäre Gesellschaft
Die Türkei befindet sich seit Jahrzehnten in einem krisenhaften Zustand zwischen Demokratisierung und autoritären Strukturen und ist dabei ständigen Schwankungen unterworfen (seit 1960 fand dreimal ein Militärputsch statt). Es ist nicht verwunderlich, dass in einem solchen Staat auch das Theater unter Kontrolle gehalten wird. Davon stark betroffen sind seit den sechziger Jahren sozial engagierte Theater. Der ausgeübte Druck, der sich je nach der politischen Lage und Situation ändert, mal sich sehr lockert, mal aber sehr stark wird, äußert sich auf unterschiedliche Art: als Zensur, bei staatlichen Theatern als Versuch, mit bürokratischen Mitteln einen Kontrollmechanismus aufzubauen, als direktes Theaterverbot. Neben staatlichem Terror gibt es von islamistischen oder faschistischen Gruppen Angriffe, Überfälle, Gewaltaktionen, sogar Brandanschläge auf Theater mit dem immer gleichbleibenden Ergebnis, dass die Theater davon schweren Schaden davontragen, die Übeltäter aber nie erwischt werden. Davon betroffen sind vor allem politisch engagierte private Theater wie Ast in Ankara oder Dostlar in Istanbul.
Ein paar Beispiele: Seit den sechziger Jahren gab es ständige Reibereien mit Brecht-Aufführungen. Die Sezuan – Aufführung der städtischen Bühne in Istanbul wurde 1965 von islamistischen Gruppen gesprengt. „Furcht und Elend des Dritten Reiches“ wurde verboten usw. Auch türkische Stücke mit aufklärerischer oder kritischer Intention sind ständigen Angriffen und Überfällen ausgesetzt. Eins der folgenschwersten Ereignisse war Anfang achtziger Jahre: die Inbrandsetzung des Kabaretttheaters von Ferhan Şensoy, der in einem revueartig aufgebauten Kabarett Stück mit Sketch, Parodien, Tanznummern und Pantomimen die fundamentalistisch islamische Bewegung aufs Korn nahm.
Die Angriffe auf das Theater hatten jedoch ihr größtes Ausmaß in den sechziger und siebziger Jahren erreicht. Das Theater bildete in dieser Zeit eine Art Widerstandsbewegung. Die sozial engagierten Theater suchten für ihre Themen nach den angemessensten und wirkungsvollsten Ausdrucksmöglichkeiten. So entstand in jenen Jahren eine breite Palette von verschiedenen Theaterformen und Experimentierstilen: vom Straßentheater bis zum Dokumentartheater, vom epischen Theater im Brechtschen Stil bis zur Mobilisierung der eigenen Volkstheatertradition, vom Kabaretttheater bis zum absurd grotesken Theater. Die besten Beispiele der modernen türkischen Dramenliteratur und Theaterarbeit entstanden in diesen Jahren.
Seit den achtziger Jahren, also nach dem dritten Militärputsch, trat allmählich eine Wende ein. Die Theater, die sich politisch engagierten, wurden immer weniger. Nach der Blütezeit des Theaters in den sechziger und siebziger Jahren gab es in den achtziger Jahren einen Stillstand. Dafür gibt es einerseits übergreifende Gründe, die für die Türkei genauso gelten wie für andere Länder, z.B. die wachsende Machtposition der Medien, ein zunehmendes Desinteresse an politischen Themen usw. Andererseits gibt es auch Gründe, die speziell für die Türkei gelten, vor allem die starken Auswirkungen des dritten Militärputsches, der in vielen kulturellen Bereichen zu Einschüchterung und innerer Zensur führte.
2. Theater und autoritäre Strukturen- Theater und Menschenrechte-Exemplarische Beispiele
Das spezielle Thema ,,Theater und Menschenrechte” möchte ich in diesem Rahmen – wie gesagt – als Zuspitzung des Themas ,,autoritäre Strukturen” betrachten, das seit den sechziger Jahren von der Dramenliteratur immer wieder aufgenommen wird. Auffallend ist, dass in Stücken, die sich direkt mit der Gefängnis- und Folterthematik befassen, realistische Formen bevorzugt werden wie z.B. psychologisch dramatisches Theater, autobiographisch angelegtes Erinnerungstheater oder Dokumentartheater, während das weiter angelegte Thema ,,Theater und autoritäre Strukturen“ auch freiere avantgardistische Formen erlaubt hat, wie schwarzer Humor, Groteske, Verfremdungstheater usw. Natürlich gibt es hier Überschneidungen. Ganz gleich, wie in einzelnen Stücken die Thematik und die Form jeweils ausgeprägt ist – gemeinsam bleibt das Thema,,Gewalt als Herrschaftsstruktur“, somit auch das Problem, wie Gewalt auf der Bühne wirksam darzustellen ist.
Erst seit den achtziger Jahren entstanden Theaterstücke, die sich direkt mit diesem Thema befassen. Im Folgenden stelle ich fünf exemplarische Stücke vor, die unterschiedliche Formen repräsentieren, nämlich: psychologisches, dokumentarisches, autobiographisches, satirisches und experimentelles Theater.
Tuncer Cücenoğlu Anfang 1980 geschriebenes und 1986 aufgeführtes preisgekröntes Drei-Personen-Stück ,,Die Sackgasse“ (Çıkmaz Sokak) thematisiert die Folterproblematik auf psychologisch dramatischer Ebene. Die Handlung des Stücks, die sich – in der ersten Version – auf unbestimmtem Schauplatz abspielt, wurde in der weiteren Bearbeitung in das Griechenland der Zeit der Militärdiktatur verlegt. Als Grund dafür ist anzunehmen, dass Cücenoğlu einerseits die Absicht hatte, den Schauplatz um der psychologischen Wirkung willen zu konkretisieren, andererseits jedoch jeglichen Konflikt mit der staatlichen Zensur im eigenen Lande vermeiden wollte. Die Frage, ob dies moralisch zu vertreten war, erübrigt sich, weil das Stück durch die Konzentration auf das rein Psychologische und durch das Fehlen sozialer Zusammenhänge keinen konkreten Bezug zum politisch-historischen Kontext der Türkei herstellt.Die weibliche Hauptperson Celika, die in den sechziger Jahren von Spanos, einem Papadopulus-Gefolgsmann, gefoltert worden ist, findet nach sieben Jahren durch die Hilfe ihrer Schwester Gelegenheit, Spanos zur Rechenschaft zu ziehen. Das Stück ist wie Ariel Dorfmans von Polanski verfilmtes Stück ,,Der Tod und das Mädchen” als analytisches Drama angelegt. In Rückblendungen wird nach und nach die ganze Vergangenheit aufgedeckt. Offen bleibt nur der Schluss: Der Zuschauer weiß nicht, ob die Racheaktion des Opfers Celika mit der Erschießung des Folterers endet, oder ob er von ihr freigelassen wird. Eine,,Sackgasse“ bleibt Celikas Aktion so oder so, denn, selbst wenn sie Spanos töten würde, bliebe ihre Tat nur eine Einzelaktion. Was sie für eine Änderung der allgemeinen Folterpraxis erbringen könnte, ist fraglich.
Das Stück, das in den achtziger Jahren wiederholt aufgeführt worden ist, stellt indirekt eine Anklage gegen den staatlichen Terror dar. Der Rollentausch zwischen Opfer und Täter in dem Stück ermöglicht ähnlich wie Dorfmanns Stück ein differenzierteres Wahrnehmen des Problems. Denn es kommt heraus, dass der Folterer kein Sadist, sondern ein nur mieser Mitläufer war, nichts anderes als ein Rädchen in einem totalitären System. Problematisiert wird jedoch auch das Verhalten des Opfers, das im persönlichen Racheakt die gleiche Verfahrensweise anwendet wie ihr Folterer, so dass sich die moralischen Unterschiede zu relativieren scheinen. So bühnenwirksam Cücenoğlus Stück auch sein mag, an ihm werden die Grenzen des dramatisch psychologierenden Theaters in Hinblick auf ein solches Thema evident.
Dieser Problematik versucht der in Sachen Menschenrechte aktive und darum politisch gefangene blinde Rechtsanwalt Eşber Yağmurdereli mit seinem halb dokumentarisch angelegten autobiographischen Theaterstück ,,Skorpion“ zu entkommen. Wie bei vielen anderen ,,Menschenrechtsstücken“ ist auch hier das Gefängnis der Hauptaktionsort. Während jedoch in „Sackgasse“ die kleine Wohnung von Celinka, in dem der Folterer gefangen gehalten wird zu einem Gefängnis wird, spielt sich hier das Geschehnis direkt im staatlichen Gefängnis ab.
Ausgehend von Tagebuchnotizen, Augenzeugenberichten und Erinnerungen rekonstruiert der Autor einen ebenso dramatischen wie authentischen Vorfall: Es geht um die vorzeitige, illegale Vollziehung der Todesstrafe an einem Häftling während der Zeit der Militärregierung (12 September), der in einen Blutrachekonflikt verwickelt ist und dessen Prozess noch läuft. Das Stück zeigt die kurze Begegnung des Rechtsanwalts mit ihm in der Einzelzelle, die Todesangst und zugleich die Hoffnung des Häftlings. Die unmenschlichen Zustände in der Isolationshaft bilden den Hauptgegenstand des Stücks. Die kurze menschliche Begegnung erhält dadurch für beide Partner eine existentielle Bedeutung, dass sie schon durch einen Vorfall in der Vergangenheit miteinander in Beziehung stehen: Vor Jahren nämlich war der Häftling dem – gleichfalls inhaftierten – Rechtsanwalt bereits in einem anderen Gefängnis begegnet, und zwar mit dem politisch motivierten Auftrag, ihn, den engagierten Anwalt und Bürgerrechtler, zu ermorden, und nur durch Zufall war dieses Attentat misslungen.
So zeigt das Stück das Ausmaß des staatlichen Terrors auf zwei verschiedenen Zeitebenen zugleich: das misslungene Attentat auf den Anwalt und die illegale Hinrichtung des Häftlings. Doch können weder die beiden Konflikte in eine überzeugende dramatische Form gebracht werden, noch werden in dem Stück die politischen Machtstrukturen erkennbar. Wer war an diesem Attentat interessiert, wer waren die Drahtzieher, warum wird der Häftling beseitigt, bevor sein Prozess Ende geht? Viele Fragen bleiben offen.
Zu vermuten ist, dass Yağmurdereli weniger an einer Durchleuchtung der Konflikte interessiert war als an der konkreten Darstellung des menschlichen Entsetzens, dessen Hintergrund die Brutalität des Terrors der Militärdiktatur bildet. Am ergreifendsten sind die Szenen, in denen der Häftling dem Rechtsanwalt die von ihm gesammelten Briefe seines Sohnes vorliest. Die in ihnen bewahrte kindliche Stimme aus dem Alltagsleben eines Sechsjährigen bildet einen krassen Kontrast zu der unmenschlichen Situation des Gefängnisses.
Der Titel ,,Skorpion“ steht als Symbol für Ausgeliefert sein und Angst. Im Gefängnis gibt es tatsächlich Skorpione, einer wird in der Zelle des Rechtsanwalts von einem sprachlosen, fast zu einem Automaten gewordenen Gefängniswärter getötet, ein Vorfall, der den blinden Rechtsanwalt in Todesangst versetzen muss. Überall vermutet er ,,Skorpione“, gegen die er sich nicht wehren kann – ein Symbol für das Ausgeliefertsein des Gefangenen an die Machenschaften einer brutalen politischen Justiz. Das Stück ist mit seinem kritisch-anklagenden Gestus ohne Zweifel viel eindrucksvoller als ,,Sackgasse“, weil es die skandalösen Verhältnisse direkt zeigt. Doch problematisch bleibt, dass auch hier die Grenze der Psychologisierung nicht überwunden wird.
Im Unterschied zu dem Stück ,,Skorpion“, das mehr auf Erinnerungsmaterial als auf Dokumenten beruht, versucht G. Cengiz in ihrem noch in Ausarbeitung befindlichen Stück ,,Aus dem Leben – Als September Mai wurde“ (Yaşamın İçinden – Ey1ül Mayıs Olduğunda) auf die in den sechziger Jahren akute und jetzt längst vergessene Form des Dokumentartheaters zurückzugreifen. Damit erhofft sie einen distanzierteren Blick auf die Menschenrechtsverletzungen in der Türkei zu gewinnen, somit der Gefahr der dramatischen Personalisierung und Psychologisierung zu entgehen. Den Ausgangspunkt dieses Stückes (durch die persönliche Bekanntschaft mit der Autorin hatte ich die Möglichkeit, das Manuskript zu lesen) bildet die Sitzaktion der Samstagsmütter. Im Zentrum von Istanbul findet seit 1995 jeden Samstag eine halbstündige Sitzaktion der Angehörigen der spurlos ,,Verschollenen“ statt. Das Stück besteht aus einer Montage von anklagenden Stimmen der Opfer, entlarvenden Zitateinsprengseln der Machthaber (mit Quellenangaben) und Gedichten. Tonbandaufzeichnungen, Interviews mit Müttern, Zeitungsausschnitte liefern das konkrete Material dafür. In die locker gefügte vielstimmige Szenenreihe, in der die unterschiedlichen Töne der Opfer zu hören sind mit Trauer, Anklage, Verbitterung, Verzweiflung, und der Widerstand der Mütter artikuliert wird, mischt sich die Einzelstimme einer werdenden Mutter, die ihr Kind in die Welt bringen und es großziehen will. Damit soll der Kontrast zwischen dem Wert des menschlichen Lebens und dem unmenschlichen System staatlicher Herbeiführung von Todesfällen verdeutlicht werden: Ein Kind auf die Welt bringen, es unter Mühen großziehen und es dann womöglich auf solche Weise verlieren, wie die anklagenden Mütter ihre erwachsenen Kinder verloren haben.
Zu fragen bleibt, ob und wie es der Autorin bei diesem Verfahren tatsächlich gelingen wird, einen distanzierteren Blick zu gewinnen. An der jetzigen Version des Stückes zeichnen sich zwei Probleme ab: Erstens bleibt durch die ausschließliche Blicklenkung auf die Opfer erneut der politische Zusammenhang diffus. Zweitens gibt die Summierung von bloßen Dokumenten, ohne dass strukturelle Zusammenhänge mit dramatischen Mitteln durchleuchtet werden, dem Stück vorläufig etwas Schematisches, das in dieser Form eintönig wirken kann.
So unterschiedlich die dramatischen Verfahrensweisen des Umgangs mit diesem Thema auch sind, das Gemeinsame der bisher skizzierten drei Stücke ist, dass die Autoren zu dem Stoff nicht genügend künstlerische Distanz gewinnen, sodass die Darstellung des Grauens überwiegt und die Zusammenhänge nicht sichtbar werden, ohne deren Erkenntnis der Kampf gegen Folter und andere Menschenrechtsverletzungen keinen hinreichenden Erfolg haben kann. Insofern könnte man hiervon einer Art Betroffenheits- oder Mitleidsdramaturgie sprechen, die an der Oberfläche bleibt. Das reicht jedoch nicht aus, um die politische Realität, zu der die staatliche Folter gehört, in ihrer Vielschichtigkeit aufzuarbeiten. Hinzu kommt, dass die Verwendung von konventionellen Theaterformen wie dramatisch psychologierendes Theater, Erinnerungstheater, Dokumentartheater beim Rezipienten weniger ein aktives Mitgehen und Mitdenken bewirken dürften als vielmehr ein Gefühl des Überdrusses, zumal die Möglichkeiten anderer Medien, der Reportage, des Films usw., bei der Bearbeitung eines solchen Stoffes viel reichhaltiger und wirksamer sein können als die des Theaters. Bedeutet das, dass das Theater hier deutlich an seine Grenzen stößt, oder ist ein anderer Umgang des Theaters mit diesem Thema denkbar?
Ein solcher Umgang zeichnet sich an dem Experimentierstück ,,Das Verschwinden“ (Kaybolma) ab, das von einem Autoren- und Schauspielerteam anhand von Improvisationsspielen geschrieben und 1997 in der Bonner Biennale aufgeführt wurde. Es geht von der Idee aus, dass gerade die Besinnung des Theaters auf die ihm eigenen Möglichkeiten einen neuen Umgang mit diesem Thema ermöglichen könnte. Ausgangspunkt für die Improvisationsspiele waren die sich in den neunziger Jahren häufenden Nachrichten über das so genannte Verschwinden von Menschen; warum sie verschwinden, womit sie beschuldigt werden, was mit ihnen geschieht, bildeten hier die Leitfragen. Der erste Teil, der kaum eine zusammenhängende Handlung gibt, sondern nur einprägsame Bilder, konzentriert sich direkt auf das Thema Verschwinden und Folter, der zweite auf die aussichtlose und verzweifelte Suche nach Verschwundenen. In dem Labyrinth eines bürokratisch strukturierten Polizeiapparates vermischen sich alptraumhaft die Rollen zwischen Suchendem und Gesuchtem, Verfolgtem und Verfolger, Gefoltertem und Folterer. Somit wird das Motiv des ,,Verschwindens“ auf zwei Ebenen thematisiert: Der Vorgang des konkreten Verschwindens und die damit verbundene Schockwirkung, die zu einer Realitätszerstückelung führt. Die Außensicht, die Beobachtung des konkreten Vorgangs wechselt nach und nach zu einer Innensicht über, zu einer Kafkaesk alptraumhaften Atmosphäre voller Angst, Abwehr, Verzweiflung. Die Sprache, die lyrisch eingesetzt wird und mehr aus Wortfetzen als aus zusammenhängenden Sätzen besteht, verliert hier jegliche sinnbildende und ordnende Funktion. Dominierend sind visuelle Ausdrucksmittel wie Tanz und Pantomime.
Auch bei diesem Theaterstück könnte man von einer Art von Betroffenheitsdramaturgie sprechen, doch erhebt es nicht wie die anderen Stücke den Anspruch der Widerspiegelung der Wirklichkeit. So ist der Zuschauer darauf angewiesen, einen Sinnzusammenhang des Stückes aus dessen fragmentartigen Teilen selbst aufzubauen. Die Zerstückelung der Realität durch die Innensicht könnte als Delirium eines Wahnsinnigen rezipiert werden oder aber auch als eine Art von Alptraum, der den Schrecken und die Verwirrung darstellt, die die Menschenrechtsverletzungen in der Türkei bei dem Auslösen, der vor ihnen nicht die Augen verschließt. Interessant ist an dieser Produktion, dass das Theater hier ohne Konkurrenzgefühl gegenüber den Medien, einen eigenen, ästhetisch innovativen Beitrag zu diesem Thema zu leisten versucht.
Das Verfahren der Reduktion auf die Innensicht der Betroffenen wurde auch von anderen Medien, z.B. von moderner türkischer Prosa aufgenommen. In Bilge Karasus Roman ,,Die Nacht“ bricht in einer fiktiven Stadt die Nacht ein, die Arbeiter der Nacht sind am Werk und verbreiten eine grausige Atmosphäre des Schreckens, immer mehr misshandelte oder zerstückelte Menschen werden auf den Strassen gefunden. Wer hier die Fäden zieht, wer die Befehlshaber, wer die Ausführenden, wer die Opfer sind verwischt sich beim Lesen so sehr, dass der Rezipient nach und nach wiederum in ein alptraumhaftes Labyrinth gerat, in dem ihm alle Orientierungsmöglichkeiten entzogen werden. Der Roman bewegt sich also auf ähnlicher Ebene wie das Stück „Das Verschwinden“, mit dem Unterschied, dass das Theater, sich auf seine eigenen Möglichkeiten besinnend, direkt vom Improvisationsspiel der Schauspieler ausgeht, die ihre persönlichen Ängste und Erfahrungen zum Ausdruck bringen. Der Text des Stücks ist letztendlich nichts anderes als eine Art Partitur für die Schauspieler. Damit aber scheint die Betroffenheitsdramaturgie ihre Grenzen erreicht zu haben.
Gibt es für das Theater auch andere Möglichkeiten mit diesem Thema umzugehen? Könnten z.B. – wie in der großen modernen Tradition satirischer Gesellschaftskritik, wie sie Aziz Nesin repräsentiert Spielarten der Satire, Groteske, des schwarzen Humors neue Wege eröffnen? Sind Verfahren komischer Verfremdung diesem Thema angemessen? Was können sie leisten? Eine direkte satirische Annäherung an dieses Thema wagt Ferhan Şensoy in seinem Stück „Ein merkwürdiges Verhör“ (Tuhaf Bir Soruşturma). Ein einfacher, unbescholtener Bürger, der aufgrund einer Verwechslung fälschlich als Terrorist festgenommen wird, gesteht unter dem Druck des Verhörs, zu einer illegalen Gruppe zu gehören, und zeigt als Mitanstifter dieser Gruppe sogar seinen eigenen Freund an. Daraufhin müssen beide, bis das Missverständnis aufgeklärt ist, mehrere Jahre im Gefängnis verbringen.
Der Ansatz dieses Stückes zeigt, dass Satire ein geeignetes Mittel sein könnte, um die Strukturen sichtbar zu machen, die zu Menschenrechtsverletzungen führen. Doch werden hier diese Möglichkeiten verspielt, weil satirische Verfremdungsmomente immer wieder in bloße Situationskomik mit Slapsticknummern übergehen, so dass es zu der peinlichen Situation kommt, dass die Zuschauer sogar über ,,Folter-Szenen” lachen können. Zwar wird im Unterschied zu den anderen Stücken, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen, eine Distanz zu den grauenvollen Geschehnissen aufgebaut, doch wird aus dieser Distanz nichts gewonnen, denn es fehlt in dem Stück jede dramatische Durchleuchtung von Zusammenhängen. So entsteht eher der Verdacht, der Autor verharmlose und missbrauche das Thema für ein medienkonformes Entertainment.
Satire ist in der türkischen Literatur ein häufig verwendetes Mittel, um die autoritären Strukturen sichtbar zu machen, die den Einzelnen unter Druck setzen und dadurch sein Engagement für demokratische Veränderung lähmen. Staatliche Korruption, Bürokratie, ideologische Manipulation, Patriarchalismus, Nationalismus und Chauvinismus usw. sind Themen, die von den satirischen Autoren öfters aufgegriffen werden.
Die Ausbeutung des einfachen Volkes, das aufgrund von Manipulation sich selbst eine Falle stellt, führt z.B. Sermet Cagan in seinem brillanten Stück ,,Fuß und Bein Fabrik“ vor. Die Dorfbewohner in einer fruchtbaren Gegend an der Südküste, werden nach und nach zu Krüppeln, da sie sich durch gesundheitsschädliche schwarze Wurzeln ernähren, die ihnen zu hohen Preisen verkauft werden. Das üppige Getreide dagegen, das das Dorf erntet, wird paradoxerweise den so genannten ,,heiligen Fischen” zugeteilt, damit sie das Dorf vor Unglück bewahren. Zum Schluss entsteht eine Prothesenfabrik, die den Krüppeln zu hohen Preisen Krücken verkauft. So wird das Modell des kapitalistischen Profitsystems entworfen, das durch Korruption die Reichen noch reicher macht, die Armen aber bis zum letzten Blutstropfen aussaugt. Solche satirisch-grotesk überzeichnende Modell-Dramaturgie könnte auch modellhaft sein für neue Versuche, dem Themenkomplex Menschenrechte – autoritäre Strukturen auf der Bühne mehr Aufmerksamkeit zu widmen.
Durch solch einen Modellcharakter zeichnen sich namentlich Werke von Aziz Nesin aus. In seinem Stück „Yaşar Lebt Yaşar Nicht“ thematisiert Aziz Nesin den zynischen Umgang des Staates mit dem Einzelnen. Es ist die grotesk-komische Geschichte von Yaşar, dem man seine Existenz infolge eines bürokratischen Missverständnisses bestreitet: Ihm wird ein Personalausweis verweigert, die daraus folgenden Verwicklungen nehmen in dem Labyrinth der Bürokratie immer absurdere Dimensionen an, bis Yasar zum Schluss im Gefängnis landet. Beide Stücke haben nicht direkt etwas mit dem politischen Problem der Menschenrechte zu tun, aber sehr viel mit den autoritären Strukturen, aus denen es letztlich erwächst. Und darum sind sie für unseren Zusammenhang von Interesse.
Ein Beispiel aus der eigenen schriftstellerischen Werkstatt
Im letzten Teil meines Vortrags möchte ich nun versuchen, ein eigenes Schreibprojekt, dass durch die Auseinandersetzung mit der ,,Pinokyo-Faust“ Inszenierung des Theaters an der Ruhrs entstanden ist, kurz zu skizzieren. Es ist ein Theaterstück, das zwar noch nicht fertig ist, aber sich als ein Beispiel für das behandelte Thema gut eignet.
Die Grundidee dabei ist, wie anfangs angedeutet, „Die Verstrickung eines jungen Menschen in die autoritären und sozial unterdrückenden Verhältnisse“ ein Thema, mit dem ich mich seit Jahren denkend, lehrend, schreibend auseinandersetze. Dabei gewinnen folgende Fragen besonderes Gewicht: welchen Unterdrückungsmechanismen und Strukturen werden die Jugendlichen in der Türkei ausgesetzt? Welche Hindernisse stehen ihrer natürlichen Entwicklung entgegen? Durch welche direkten oder indirekten Manipulationsstrategien erfolgt die Verinnerlichung? Wie entsteht Anpassung? Wie kommt es zu offenen Kinderrechts bzw. Menschenrechtsverletzungen? All diese Fragen, die zur türkischen Wirklichkeit gehören, somit auch ein reichhaltiges Dokumentarmaterial liefern, wurden bisher von der türkischen Literatur kaum oder sehr begrenzt aufgenommen. Dabei bildet jede einzelne Fragestellung einen eigenen Problemkreis und fordert Auseinandersetzung mit ihr geradezu auf.
Einen Teilbereich dieses Themas ,,Die Schule“ als ein Modell der autoritären Gesellschaft, habe ich in zwei Jugendbüchern bearbeitet. Das antipädagogische Buch ,,Das Nashornspiel“, das auch in deutscher Sprache erschienen ist, ist zugleich eine Satie auf die türkischen Verhältnisse. Aber das Genre Jugendliteratur, auch wenn es den Anspruch hat, durch satirische Elemente den erwachsenen Leser anzusprechen, ermöglicht nur einen begrenzten Zugang zu diesem Problemfeld.
So blieben bei meiner bisherigen Auseinandersetzung mit diesem Thema das besondere Problem Kinder- und Menschenrechtsverletzungen unberücksichtigt. Bei meiner Suche nach geeigneten literarischen Verfahrensweisen, die eine Annäherung an dieses spezielle Problem überhaupt ermöglichen, gab mir die Inszenierung „Pinokyo-Faust“ einen großen Anstoß. „Pinokyo-Faust“ ist eine surrealistische Groteske mit intertextuellen Bezügen zwischen Pinokyo und Faustthematik. Anders als in Collodis Märchenroman ,,Pinokyo“, in dem die Sozialisation eines kleinen Jungen im idealistisch aufklärerischen Sinne gezeigt wird, aus dem gutherzigen Pinokyo, der aus einem kleinen Holzstück entstanden ist, wird nach vielen Irrwegen zum Schluss ein braver Junge, wird hier durch die Verschmelzung von Pinokyo und Faust ein Gesamtbild auf den Menschen vermittelt. Pinokyo, dessen Vater Mephisto ist, stellt Fausts Kindheit dar. Durch die Synthese von heterogenen und einander widersprechenden Motiven entstehen einprägsame alptraumhafte Bilder, die die Geburt und den Werdegang eines jungen Menschen darstellen, der ein Teil einer Welt voller Kommunikationslosigkeit, Gefühlsarmut und gewalttätiger Aggression ist. So steht er wie ein Symbol der Hoffnungslosigkeit einer zerfallenden Gesellschaft da. Der gesellschaftliche Bezug wird hier auf subtile und indirekte Art dargestellt, teils, weil das Stück auch eine metaphysische Dimension hat, teils, weil die Manipulation des Einzelnen in einer liberalistisch-modernen Gesellschaft nicht mehr so deutlich zu erkennen und einfach zu entlarven ist.
Die Frage, die mich bei der Rezeption dieser Inszenierung beschäftigte, war, wie wenn Pinokyo in einem Land leben würde, in dem die Unterdrückungsmechanismen noch deutlich sichtbar sind, führten von dem Faust Stoff weg zu neuen intertextuellen Bezügen, nämlich zu der Groteske ,,König Übü” von dem Surrealisten Alfred Jarry. Mit der Figur von ,,König Übü” wird alles Böse, Niederträchtige und Zerstörerische im Menschen versinnlicht. Übü ist der machtgierige und zugleich feige Kleinbürger, der seinen Trieb nicht beherrschen kann und seine Aggressionen stets an seinen Mitmenschen ausläßt.
In meinem Schreibprojekt verliert er seine Einmaligkeit, weil er sich vervielfältigt. Die Übügesellschaft, die von Übüs, die die Machtstrukturen verkörpern und den werdenden Übükops, Zöglinge der Übükop Schule, beherrscht wird, wird das ganze System Schule, Wissenschaft, Rechtswesen, Medien usw. im Übü’schen Sinne zurechtgebogen. Das Ausmaß des Schreckens und des Terrors, das Übü und seine Anhänger verbreiten, entspricht dem Original. Nur seine Rhetorik ist nicht so brutal und grob wie im Original, sondern viel subtiler und feiner, weil die Sprache hier durch rhetorische Manipulation, durch Verdrehung und Aushöhlung der ursprünglichen Bedeutung der Worte und Begriffe, zu einem bedeutenden Machtinstrument wird.
Durch die Verknüpfung des Pinokyo-Stoffs mit Übü versuchte ich, die negative Sozialisation eines jugendlichen, seine allmähliche Anpassung, zu zeigen. Pinokyo wird hier zunächst, dem Original gleichend, positiv dargestellt. Nach und nach wird er aber zu einem Übükop, d.h. einer Kopie, einem zerstörerischen Übü-Abbild. Seine Identitätssuche und Sozialisation bilden den roten Faden des Stückes. Den Gegenpol zu Übü bildet Pinokyos Vater Geppetto, der eine problematische Figur ist, weil er als ein Utopist, ein Zauberer, die Fähigkeit hat einem kleinen Holzstück Leben zu geben; jedoch unfähig ist, mit der Realität angemessen umzugehen. Er symbolisiert den idealistischen Künstler, den Intellektuellen in einer autoritären Gesellschaft.
Die Vorarbeit dieses Stückes bildeten verschiedene Recherchen, denn ich wollte meinen eigenen Beobachtungen und Erfahrungen als Hochschullehrerin in Istanbul an einer Universität, in der Gewalt zum Alltag gehört, mit weiterem dokumentarischem Material ergänzen. So gibt es eine Reihe von Unterdrückungs- und Gewaltstrategien, die zu den alltäglichen Methoden der Machtausübung gehören – vom autoritären, chauvinistisch geprägten Schulsystem, das zum Ziel hat, systemkonforme Menschen auszubilden, bis zu staatlichen Gewaltaktionen, bei denen jugendliche, die ihre Rechte suchen und rebellieren, verfolgt, verhaftet, gefoltert werden.
Dazu gehört z.B. der empörende Fall von dem dreizehnjährigen Rückkehrerkind M.C., der 1982 von seinem Lehrer angezeigt und in Izmir festgenommen wurde, weil er an die Klassentür das Wort „Marxismus“ geschrieben hatte. Er kam in Untersuchungshaft, musste Monate ins Gefängnis und anschließend in die Nervenheilanstalt, wo er zwecks ärztlicher Untersuchung einen Monat lang in eine dunkle Zelle gesperrt und beobachtet wurde. Der Prozess bis zu seiner Freilassung dauerte über ein Jahr. Im Laufe der achtziger und neunziger Jahre folgten viele anderen Fälle von Unterdrückung, Gewalt, Folter – wobei ich meine Aufmerksamkeit immer besonders auf betroffene Jugendliche gerichtet habe. Einer der jüngsten Fälle ist der Fall von Manisa, bei der eine Gruppe von Flugblättern verteilenden Gymnasiasten festgenommen und auf schlimmste Art gefoltert wurde. Auffallend bei all diesen Fällen ist, dass die Orte, in denen die schlimmsten Menschenrechtsverletzungen sich abspiegeln nicht nur Gefängnisse sind, sondern auch Schulen und Hochschulen.
In meinem Projekt habe ich einiges von diesem Material aufgenommen und auf verfremdend modellhafte Weise bearbeitet. Ein Beispiel für den Umgang mit dem vorhandenen Material: In Collodis ,,Pinokyo“ gibt es eine Szene, wo Pinokyo die Schule schwänzend ins Puppentheater geht, den ausbrechenden Streit der Puppen schlichtet und Harlekin das Leben rettet. Die Zuschauer dagegen sind über diese Unterbrechung der Aufführung aufgebracht, dafür soll Pinokyo bestraft werden. Diese Szene veranschaulicht Pinokyos Dickköpfigkeit, zugleich aber auch seine Gutherzigkeit. In meinem ,,Pinokyo Übü“ wird diese Szene zugespitzt zu einer massenhysterischen Szene, in der Pinokyo von den Zuschauern fast gelyncht und des schwersten Verbrechens im Übüland, nämlich einer Friedensstiftung, beschuldigt wird. Diese Szene, beruht direkt auf einer konkreten Begebenheit, nämlich dem Fall eines vierzehnjähriges Mädchens N.A. (1990), das an die Schulwand ,,Nein zum Krieg” geschrieben hatte, mit der Beschuldigung einer illegalen Organisation anzugehören, festgenommen wurde. Die Massenhysterie der Zuschauer soll Assoziationen an andere Szenen wecken wie z.B. Gewaltdemonstrationen der faschistischen Gruppen oder Massenhysterie der Fußballfans u.a..
Soweit zu meinem eigenen Schreibprojekt. In meinem Vortrag habe ich versucht, mich mit dem Thema Theater und Menschenrechte aus verschiedenen Perspektiven auseinanderzusetzen; (literaturkritischer, literaturwissenschaftlicher sowie schreibend experimentierender Perspektive). Die literaturkritische Analyse der einzelnen Werke sowie die Skizzierung des eigenen Schreibprojekts sollten die künstlerischen Probleme veranschaulichen mit dem das Theater konfrontiert wird, konkreter gesagt die Grenzen und Möglichkeiten von verschiedenen literarischen Verfahrensweisen verdeutlichen. Mit der Vorstellung meines eigenen Schreibexperiments wollte ich zeigen, wie durch den Rückgriff auf bekannte Stoffe und Motive sowie die Arbeit mit satirischen Mitteln eine Art von Distanz entsteht, die den Schreibzugang zu einem so belastenden Thema überhaupt ermöglicht. Somit wird auch meine Arbeitsweise deutlich, die einen sehr engen Zusammenhang zwischen Literaturwissenschaft, Literaturkritik und Literaturproduktion sieht. Meine bisherigen Erfahrungen als Literatur-, vor allem Theaterkritikerin, sowie als selber Schreibende haben meine Arbeit stark beeinflusst. Schon während meines Studiums in Berlin wurde ich geprägt von dem Germanisten Professor Höllerer, der als ein bekannter Lyriker und Literaturkritiker Literaturwissenschaft tief im literarischen Leben verankert sah. So sehe ich Literaturwissenschaft nicht abgeschirmt vom literarischen Leben sondern gemeinsam mit Literaturkritik und Literaturerziehung in einer praktisch vermittelnden und eingreifenden Funktion.
Bei der Ummontierung und Zurechtbiegung Pinokyos zu einem Übü-Abbild werden verschiedene Strategien angewendet. So wird z.B. Pinokyo wie die anderen Marionetten als Spanholz für das Feuer zur Bereitung von Übüs Suppe benutzt und dann mit verkohlten Beinen ins Gefängnis, d.h. in den Bauch des Haifisches geworfen, wo sein Vater ihn mühsam zusammenflickt. Oder er wird in die Übükop Maschine gesteckt, eine Art von Manipulationsmaschine, die Pinokyo dazu bringt, zum Schluss sich selbst als einen Übükop zu erkennen. Die Schlussszene bildet eine Medienparodie. Hier wird Übüs Wunderschule, in der alle ,,bösen und ungehorsamen Kinder mit den erfindungsreichsten Lernhammermethoden zurechtgeklopft werden“, im Fernsehen vorgestellt, und Pinokyo erhält als ein wahres Übümeisterwerk einen Preis.