Anregungen von Brechts Verfremdungs-Konzept: Darstellendes Spiel und Szenisches Interpretieren mit Unterschichtkindern aus Istanbul

Dieser Artikel wurde von Zehra İpşiroğlu verfasst und erstmals am 2000 auf Korrespondenzen, Zeitschrift für Theaterpädagogik, 16.Jahrgang veröffentlicht.

Im Folgenden geht es um die Frage, wie weit Brechts Methode der Verfremdung im darstellerischen Spiel mit Kindern angewendet werden kann, was davon aus heutiger Sicht brauchbar sein kann. Dabei versuche ich anhand von anschaulichen Beispielen aus dem eigenen Theaterlabor (Fach Dramaturgie und Theaterkritik-Universität Istanbul) dieser Problemstellung nachzugehen. Es sei aber im Voraus darauf aufmerksam gemacht, dass es mir bei der Untersuchung dieser Frage weniger darum geht, die Anwendbarkeit von Brechts pädagogischem Konzept auf die türkischen Verhältnisse zu untersuchen, als um die schlichte Frage der Methodik, nämlich den Ansatz, durch Verfremdung gleichnishafte Denkmodelle zu schaffen, die eine intensive Auseinandersetzung mit der eigenen Realität ermöglichen. Dies ist natürlich eine selektive und begrenzte Annäherung an Brecht. Wie weit diese Annäherung nur auf die türkischen Verhältnisse zugeschnitten ist, wie weit sie auch von allgemeiner Bedeutung sein könnte, lasse ich dabei als offene Frage stehen.

Zunächst ein paar Hinweise zum Vorverständnis: Seit einigen Jahren arbeiten Studenten und Assistenten des Faches Dramaturgie und Theaterkritik der Universität Istanbul mit Unterschichtkinder verschiedener Altersstufen (6-16) in Schulen in vernachlässigten, armen Gegenden Istanbuls an einem Projekt Theater mit Kindern, das durch eine Bürgerinitiative, die sich für die Demokratisierung der Türkei einsetzt, unterstützt wird. Dabei geht es um das Ziel durch freies Improvisationsspiel von Kindern, im lernenden Erproben bestimmter Verhaltensweisen Denkmodelle zu schaffen, die eingefahrene Verhaltensmuster und fixierte Bedeutungen in Frage stellen sollen. Durch Vorführung von Alltagsszenen aus dem verfremdenden Blick der Kinder, sollen nicht nur Wahrnehmung und Kritikfähigkeit der Kinder geschärft werden, sondern auch der Erwachsenen, der Studenten, die die Gruppen leiten, sowie der Erwachsenen Zuschauer, der Lehrer, Erzieher, Eltern. Es geht hier also um einen umfassenden Lernprozess, der Lernen und Spielen, Lernen und Experimentieren produktiv kombiniert.

Ein Beispiel: Schuluniform… Zwölf bis Vierzehnjährige Schüler, die in dieser Gruppe arbeiteten, wollten, dass in ihrer Schule einige Reformen durchgeführt werden. Jeder schrieb auf einem Zettel seinen Änderungsvorschlag. Durch Abstimmung ergab sich der gemeinsame Vorschlag, die Abschaffung der Schuluniform. Da aber nicht alle, sondern nur die Mehrzahl der Kinder gegen die Schuluniform war, bildeten sich zwei ungleiche Gruppen. Die dafür waren, übernahmen nun die Rollen der Erwachsenen, der Lehrer, des Schuldirektors und des Erziehungsministers. Die andere Gruppe wendete sich mit guten Argumenten an den Klassenlehrer, der sie jedoch empört abwies. Darauf gingen sie zum Schuldirektor, der ihnen einen Vortrag über den traditionellen Wert und die Bedeutung der Uniform hielt. Uniform bedeute Schule, Uniform bedeute Schüler. Wie solle man die Schule als Schule erkennen, wenn es keine Uniformen gäbe? Uniform sei der Stolz und die Ehre der türkischen Jugend, der der große Atatürk die Zukunft der Nation anvertraut habe, usw. Die Kinder organisierten nun eine Demonstration gegen die Schuluniform mit großen Plakaten, auf denen folgende Sprüche zu sehen waren:  „Schluss mit dem uniformierten Leben!“, „Ja zur Freiheit, Nein zur Uniform!“, „Wir sind keine Soldaten, sondern Schüler! „u .a. Jetzt wurde der Erziehungsminister eingeschaltet, der überraschenderweise ganz anders als die Schulfunktionäre in allen Punkten mit den Kindern übereinstimmte. Sofort werde ein den Forderungen der Kinder entsprechendes neues Gesetz erlassen werden. Jetzt sollten die Kinder jedoch in ihre Schule zurückkehren. Die erste Überrasschung der Kinder wich langsam der Empörung: „ Wie soll das dann gehen? „ , „Ihr Politiker belügt uns doch ständig!“ „ Auf eure Lügen fallen wie nicht mehr rein! „ , „ Erst mal wollen wir das Gesetz schwarz auf weiß sehen!„ Um die Stimmen der protestierenden Kinder zu übertönen, brüllten der Erziehungsminister und seine Funktionäre stamm stehend die Nationalhymne. In den fürchterlichen Lärm und das Chaos stürzte plötzlich wutentbrannt der Schuldirektor, griff die protestierenden Kinder tätlich an und zerriss die Plakate.

An dieser Stelle musste das Spiel aus einem ebenso komischen wie bemerkenswerten Grund unterbrochen werden. Denn der Schüler, der den Schuldirektor spielte, hatte sich mit seiner Rolle so sehr überidentifiziert, dass sein Spiel in Ernst umgeschlagen war, sodass er auf die anderen Kinder hemmungslos einprügelte. Nach einer Reihe von Diskussionen wurde die Szene dann noch einmal gespielt, und zwar mit einer anderen Rollenbesetzung.

Es wurden mehrere Versionen dieser kleinen Szene erarbeitet: einmal utopischer, märchenhafter Schluss, in dem die Erwachsenen den Forderungen der Kinder nachgeben und plötzlich ganz neue Schulverhältnisse geschaffen werden; zweitens negativer Schluss, die Demonstration wird brutal unterbrochen, die Anführer werden von der Polizei festgenommen; drittens offener Schluss, der Protest gegen die Schuluniform bildet den Anfang einer Reihe von Aktivitäten zu Schulreformen, die man durch zusetzen versuchen will und noch andere Versionen.

Auffallend an dieser Szenenarbeit war, erstens die beeindruckend scharfe Beobachtungsgabe der Kinder, zweitens ihre Begabung für parodistische Nachahmung. Es kommt in der theaterpädagogischen Arbeit darauf an, dieses Potential so zu aktivieren, dass Erkenntnisprozesse entstehen und sich entfalten.

Bei der Arbeit mit den Kindern ist es – wie das geschilderte Beispiel dramatisch zeigt – sehr wichtig, dass sie sich mit ihrer Rolle nicht überidentifizieren. bzw. dass sie sich dessen bewusst sind, dass es sich hier um ein Spiel handelt. Bei unserer Arbeitsweise geht es also weniger um Verinnerlichung und Empathie, die in anderen theaterpädagogischen Ansätzen vorrangig angestrebt werden als um ein Herangehen an verschiedene Situationen und Verhaltensweisen von außen und zwar im Sinne des episch verfremdenden Theaterkonzepts Brecht und des an Brecht Theater der Unterdrückten vom Augusto Boal. Dieser Ansatz ist der natürlichen Spielart der Kinder nicht fremd, da sie beim Spielen die Haltung des Erzählers, des Zeigenden nie ganz aufgeben, sie können das Spiel beliebig unterbrechen, kommentieren usw. Mit anderen Worten die Verfremdung ist in dem kindlichen Spielverhalten ebenso angelegt wie die Identifikationsform. Einer Gefahr der Überidentifikation kann dementsprechend in der besonderen Spielsituation ohne Forcieren vorgebeugt werden.

So geht es hier um das Durchspielen des Zusammenlebens, Verhaltens, Denkens, Fühlens und um das Experimentieren mit Alternativen. Bei Konfliktsituationen wie in dieser Szene gibt es jedoch keine endgültige Lösung, sondern verschiedene Möglichkeiten, die zu neuen Erfahrungen führen sollen.

Die autoritären Strukturen, die in dieser gleichnishaften Szene veranschaulicht werden, sind leider kennzeichnend für die türkischen Verhältnisse. Sie verhindern ein freies, selbständiges und kritisches Denken. Im Spiel finden die Kinder, die von diesen Verhältnissen geprägt sind, die Möglichkeit, sich selbst zu entdecken, ihre eigenen Interessen und Wünsche auszudrücken. Dies ist jedoch gerade bei Unterschichtkindern, die von autoritären Schul- und Familienverhältnissen am meisten betroffen sind, gar nicht so einfach und erfordert deshalb kontinuierliches und geduldiges Umgehen mit ihnen. Zum Beispiel war bei einer Umfrage, wie sich die Kinder eine ideale Schule vorstellen, etlichen nichts anderes eingefallen, als ein gefängnisartiges Gebäude mit der türkischen Fahne darauf und einer Atatürk-Büste davor zu zeichnen. Als die Kinder aufgefordert wurden ihren Vorstellungen entsprechend eine disziplinierte und eine undisziplinierte Schule gegenüberstellend zu malen, hatte ein kleines Mädchen auf die eine Hälfte des Blattes mit einem Lineal sorgfältig strammstehende Kinder und Lehrer gemalt, umgeben von uniform gleichartigen Blumen in gleichartigen Blumentöpfen, auf der anderen Hälfte des Bildes jedoch waren miteinander balgende Kinder zwischen bunten Blumen zu erkennen. Das Bild war eindeutig affirmativ als eine Werbung für Disziplin gedacht. Doch hatte es eine Leerstelle, die zu neuen Improvisationsspielen anregte. Nur die Blumen in der undisziplinierten Schule waren nämlich kunterbunt bemalt, während die ordentlich nebeneinander aufgestellten Blumen in den Töpfen ohne Farbe gelassen waren.

Durch darstellerisches Spiel mit oder ohne Textvorlage können Kinder Szenen und Themen aus ihren eigenen Leben vorstellen: Medien, Konsum, Umweltverschmutzung, Unterdrückung in Familie und Schule, Zusammenleben von Mädchen und Jungen und ähnliche Themen geben Anlass zu vielen Szenenvariationen, die zu gleichnishaften, d.h. verallgemeinernden Denkmodellen führen können. So entstanden z.B. beim Thema Umwelt als Bühnenfiguren mit Plastik umhüllte Müllmonster, gegen die die Kinder kämpften. Höhepunkt dieser Szene bildete ein wilder Tanz der Müllmonster zu einer ohrenbetäubenden Rockmusik. Plötzlich erschien auf der Bühne der Müllmonsterkönig, strahlend, mächtig, triumphierend, die Monster warfen sich vor ihrem König nieder, berührten mit der Stirn den Boden und brüllten im Chor ihren Müllmonstersong: Vernichtet sei die Welt! Eine als Massenhysterie ausgearbeitete Szene mit deutlichen Analogien zur Manipulation von Menschen durch Sekten, religiöse oder politisch totalitäre Gruppen. Bei der utopischen Version dieses Spiels siegten die Kinder, durch ihre Aktion entstand eine müllfreie und angstfreie Welt, so dass die Müllmonster an Hunger leidend immer mehr zusammenschrumpften und zum Schluss ganz aus dem Blick verschwanden.

Auffallend ist, dass bei allen Szenen, die erarbeitet und dargestellt wurden, Gewalt eine dominante Rolle spielte. Als eine Gruppe in einer Rollentauschszene darstellte, welche Strafe die Kinder ihren Eltern für ein kleines Vergehen, nämlich zu spät nach Hause zu kommen, geben würden, bekamen im Unterschied zu den Müttern die Väter die grausamsten Strafen: Sie wurden mit einem Stock geschlagen und misshandelt, hungrig in einem Raum eingesperrt, an den Schwanz eines galoppierenden Pferdes gebunden, von Hunden fast zu Tode zerfleischt etc. Als die gleiche Szene, diesmal ohne Gewalt gespielt werden sollte, stellte diese Aufgabe eine richtige Herausforderung dar. Sie war mühsamer zu realisieren. Die Gewalt-Version war attraktiver gewesen.

Auch die Methode des szenischen Interpretierens, also eine Geschichte, ein Gedicht, die zum Spielen auffordern, führt zu prägnanten und das Nachdenken anregenden Szenen. In einer szenischen Darstellung von Brechts bekanntem Gedicht über den Schneider von Ulm erinnert die Figur des Bischofs, mit einem angemalten Bart und einem Rosenkranz in der Hand und einer kleinen Kappe auf dem Kopf, weniger an einen christlichen Würdenträger als vielmehr gezielt an einen islamischen oder sogar fundamentalistischen Ideologen. In der einen Version dieses Spiels stürzen die Dorfleute auf die Bühne, die Gesichter voller Aufregung und Hoffnung in die Ferne gerichtet: „Er fliegt, er fliegt!“ Dann folgt ein Krach und man hört die mahnend drohende Stimme des Bischofs: „Und er liegt zerschellet auf dem harten Kirchenplatz…Denn der Mensch ist kein Vogel…“Darauf die Bestürzung der Dorfleute über den Absturz… Und dann plötzlich in der Ferne das Gedröhne eines Flugzeugs…Die Szene gibt Anlass zu lebhaften Diskussionen unter Spielenden und Zuschauern: Ist dieses Ende als gut oder als schlecht zu beurteilen?

Die Szenen, die im Rahmen eines Istanbuler Projekts entwickelt wurden, wechseln schnell ab von alltagsbezogen realistischen bis zu phantastisch grotesken, von konkret anschaulichen bis zu abstrakt vieldeutigen. Aber selbst bei dokumentarisch realistischsten Szenen wie in den übrigen überwiegt immer wieder das Verfahren der komischen Verfremdung.

Die subversive Kraft der Komik, die in dem Spiel der Kinder immer wieder herauskommt, scheint mir interessanterweise auch kennzeichnend zu sein für die Brecht- Rezeption in der Türkei. Nicht ohne Grund sind die gelungensten Brecht-Inszenierungen diejenigen, die gerade das Verfahren der komischen Verfremdung erfolgreich einsetzen. Bei der Arbeit mit den Kindern entstehen kleine verfremdende Denkmodelle, die ihren Ansatz bei Brecht finden. Brecht, der sich selbst auch als einen Pädagogen sah, sagte einmal in einem Interview: „Ich zeige in Gleichnissen: Wenn ihr so handelt, geschieht das und das, handelt ihr dagegen, so geschieht das Entgegengesetzte. Das ist Pädagogik. „Hier führen die Kinder Verhaltensweisen, Situationen und Handlungen selbst vor und entdecken dabei, welche Verhaltensweise was für Folgen haben könnte. Im Unterschied zur autoritären Erziehung, die den Kindern genau vorschreibt, wie und was sie zu denken haben, geht es hier darum, Denk- und Erfahrungsprozesse in Gang zu bringen, die den Kindern helfen, den schwierigen Weg zu selbständigem Denken und zu Mündigkeit leichter zu finden.

Der Unterschied unseres Ansatzes gegenüber Brecht ist, dass es dem marxistischen Autor Brecht mit seinen Denkmodellen letztendlich um Klassenkampf ging. Welche Gültigkeit diese Denkmodelle heute haben, ist zwar nicht negativ entschieden, aber zumindest sehr umstritten. Wir setzen dagegen mehr auf die Offenheit der Brechtschen Pädagogik und Theaterpraxis.

In den siebziger Jahren in Anlehnung an Neomarxismus und Protestbewegung gab es in Deutschland theaterpädagogische Experimente, die gleichfalls ihren Ansatz bei Brechts Theaterkonzept, vor allem jedoch bei seinem Lehrstückkonzept fanden. Letztendlich scheiterten all diese Versuche daran, dass die Kinder überfordert, auch als Mittel zum Zweck missbraucht wurden. Es ging weniger um die Kinder selbst als um die Ideologie. So wird heute diese Richtung der Theaterpädagogik, die auf die antiautoritäre Welle von 1968 zurückgeht, ebenfalls als autoritär angesehen.

Bei unserer Theaterarbeit geht es um ein offenes Denkmodell, das das Ziel hat, bei den Kindern realitätsoffenes differenzierungsfähiges Bewusstsein zu wecken. Ein wichtiges Leitkonzept ist deshalb bei unserer Arbeit Authentizität: Es geht zunächst einmal darum dem in die sozial drückenden und autoritären Verhältnisse verstrickten Einzelnen durch Spielen einen Freiraum zu verschaffen, wo er die Möglichkeit hat einmal aufzuatmen, sich zu besinnen und nachzudenken, d.h. sich ohne Angst aus autoritären Bevormundungen zu lösen, Selbstvertrauen zu gewinnen und seinen eigenen Weg und seine Möglichkeiten zu entdecken. Und dies ist umso notwendiger angesichts der Komplexität der modernen Gesellschaft. Auf die Türkei bezogen, die zwar einen guten Schritt in Richtung auf eine moderne demokratische Kultur hingetan hat, aber in autoritären, halbdemokratischen, von Nationalisten wie von Fundamentalisten beeinflussten Strukturen stecken zu bleiben droht: innerhalb der Gesellschaft verschiedene Grade der Modernisierung, die zunehmende Medialisierung des Lebens, Verschärfung der ökonomischen Probleme und der politisch-ideologischen Auseinandersetzungen ein ganzes Bündel von einander widersprechenden, vielschichtigen Problemen, denen gerade Kinder und Jugendliche aus der Unterschicht ebenso massiv wie hilflos ausgesetzt sind. Es geht hier auf dem kleinen Feld unsrer theaterpädagogischen Arbeit ebenso wie in anderen demokratischen Initiativen um die Idee eines demokratischen Zusammenlebens in einer vielschichtigen Gesellschaft und um die Wege zur Realisierung dieser Idee.

Wenn man Brecht in unserer sehr heterogenen Einflüssen ausgesetzten postmodernen Zeit wieder liest, im Gegenzug zu einem bornierten Wegräumen Brechts auf den Müllhaufen der Moderne, kann man manches entdecken, was aktuell ist: Angesichts der Konkurrenz von verschiedenen Ideologien und Lebensorientierungen, die dem Menschen Glück versprechen und somit ihn festnageln und für eigene Zwecke ausschöpfen wollen, z.B. das Glück der Konsumwelt, der fortschreitenden Technologie, der Traditionen, der Religionen, der Sekten, der Ethnisierung u.a., ist gerade das Prinzip des kritischen Denkens wichtig, eines Denkens, das die unerlässliche Grundlage einer demokratischen Kultur ist und das den Einzelnen gegen jegliche Art von ideologischer Erstarrung immun macht und ihm die Möglichkeit gibt, sich selbst, seine eigenen Möglichkeiten, zu entdecken. Das projekthaft Suchende, experimentell Fließende des darstellerischen Spieles bildet dabei ein Gegenprogramm zu den Erstarrungen des ideologischen Denkens. Dabei spielt das von Brecht postulierte Wechselspiel von Vergnügen und Kritik, Lachen und Denken, Spaß und Lernen, Handeln und Reflektieren, Nähe und Distanz, Beobachtung und Verfremdung, Experimentieren und Spiel eine bedeutende Rolle.

Antiautoritär- kritisches und didaktisches denken werden in dem heutigen postmodernen Diskurs selber als autoritär diffamiert. Ohne dieses Denken sind jedoch die Grenzen von nicht-autoritärem Denken leicht verwischbar. Die postmoderne Beliebigkeitstheorie drückt letzten Endes eine Art von Verdrängung aus, eine Flucht vor der Realität und ihren Anforderungen. Das nicht Ernstnehmen des Didaktischen jedoch, d.h. der Notwendigkeit und des Wertes von Lernen und Lehren, bedeutet Resignation, sogar Kapitulation vor der Zukunft. Ich denke, dass einer produktiven Auseinandersetzung mit Brecht heute gerade in didaktischer Sicht Perspektiven eröffnet werden könnten. Unsere Istanbuler Theaterarbeit zumindest spricht für diese Annahme.

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